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„Hochzeit bei den Cromagnons": Gustav Ruebs inszeniert Wajdi Mouawad 

Kassel. Stück zeigt als Farce das Alltagsleben in der Barbarei des Kriegs. 

Es beschleicht einen ein eigenartiges Gefühl: Während im Nahen Osten Hunderttausende zwischen den Fronten in Kellern und Lagern dahinvegetieren, nicht wissend, ob sie den nächsten Tag erleben, sitzt man im wohltemperierten Theater und wohnt der „Hochzeit bei den Cromagnons“ bei, die eine ausgewachsene Farce ist. Sie bringt zum Lachen und weist damit das Grauen in seine Schranken. Aber das Lachen bleibt im Halse stecken, womit das Grauen triumphiert. Es gibt kein Erbarmen in dieser Steinzeit-Welt des modernen Krieges, wo Wahnsinn und Entmenschlichung, Hass und Abstumpfung, Vulgarität und Verzweiflung, Lebenslust und Tod in einer bizarren Hochzeit kulminieren. 

Wajdi Mouawad, Kanadier libanesischer Herkunft, feierte 2003 mit „Verbrennungen“ Erfolge auf Bühnen weltweit. Am Freitag ging sein Frühwerk „Hochzeit bei den Cromagnons“ als deutsche Erstaufführung in der Inszenierung von Gustav Rueb über die Bühne des Kasseler tif. Der Raum ist eine mit Matratzen ausgelegte Wellblechhöhle, ein Kellerloch, nur ein Kronleuchter und zwei Herdplatten symbolisieren Zivilisation (Bühne und Kostüme: Daniel Roskamp). Eine bizarre Familiengesellschaft haust hier, mit verfilzten Haaren, in bandageartige Lumpen gehüllt. 

Mutter Nazha (Anke Stedingk) ist ein Vollweib, vulgär und dennoch verletzlich. Sohn Neel (Christoph Förster) erkennt die Bomben an ihrem Sound. Vater Néyif (Uwe Steinbruch) ist notgeil, doch voller Liebe, wie auch Nachbarin Souhayla (Eva-Maria Keller) nur auf den ersten Blick dümmlich erscheint. Tochter Nelly (Sabrina Ceesay), die Braut, ist mit der besonderen Gabe gesegnet, wann auch immer einzuschlafen. Milizionär Walter, der älteste Sohn, kommt blutbefleckt heim (Artur Spannagel). Und dann ist da noch der geheimnisvolle Fremde, um die Braut zu freien. Im makellosen weißen Anzug haftet ihm etwas Überirdisches an (Dieter Bach). 

Die Hochzeitsvorbereitungen gestalten sich in Stahlgewittern schwierig, der Salat stinkt, die Kartoffeln sind matschig, das ochsengroße Lamm wird mit der Nagelschere geopfert. Zum Garen hängen sie es über die Kochplatten, aber dauernd fällt der Strom aus. Alsbald steigert sich der zivilisatorische Kollaps zu einer Licht- und Sound-Kakofonie, die schier den Boden unter den Füßen wanken macht – das Wellblech lärmt und wummernde Elektrosounds gehen bis an die Schmerzgrenze (Musik: Eric Schaefer). 

Der Cro-Magnon-Mensch gilt als unser unmittelbarer Vorfahr vor 40 000 Jahren. Mouawads Stück entstand schon 1992. Nach 23 Jahren ist es aktueller denn je. Offenbar ändert sich nichts, es wird nur viel schlimmer, aller Aufklärung zum Trotz retardiert der Mensch. „In einer irrsinnigen Welt vernünftig sein zu wollen, ist schon ein Widerspruch in sich“, wusste Voltaire und Ruebs Inszenierung von Mouawads Groteske zeigt genau das. Zunächst zaghafter, dann lebhafter Applaus.