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Die Jagd nach dem Phantom 

Von Fabian Fröhlich 

Während der ersten Minuten könnte man noch denken, man sei im falschen Stück: eine historische Erzählung, liebevoll und ein wenig altbacken mit Puppen und Schiebekulissen nachgestellt. Und wo bleiben der angekündigte Jugendslang, das Tempo, der Bezug zum Kassel der Gegenwart? All das wird kommen, und zwar sehr bald. Auf welche Weise die Realität in die behäbige Märchenwelt einbricht, das sei hier nicht verraten – das muss man erleben. 

Das vor sechs Jahren in Stockholm uraufgeführte Stück Invasion! des schwedisch-tunesischen Autors Jonas Hassen Khemiri lebt vom fliegenden Wechsel. Gustav Rueb lässt in seiner Inszenierung für das Kasseler tif die Szenen mal fließend ineinander übergehen, mal nutzt er das zentrale Element des Bühnenbilds, einen um die Mittelachse rotierenden Kleiderspind, um ein neues Setting zu etablieren. 

Vier Schauspieler spielen fast 20 Rollen, nicht nur aus Gründen der Ökonomie, sondern weil genau dieses Spiel mit den Identitäten ein Thema des Stücks ist. Testosterongesteuerte Araberjungs, dozierende Experten oder coole Geheimdienstler, sie alle kreisen um eine leere Mitte: Abulkasem – anfangs ein Modewort unter Jugendlichen, das alles und nichts bedeuten kann und dann wie ein Virus im Laufe der eineinhalb Stunden weiter mutiert. 

Abulkasem ist der libanesische Onkel, die iranische Star-Regisseurin und schließlich der gejagte Terrorist. Er ist die Maske, in die man schlüpft, das Feindbild, das man sich errichtet, Projektionsfläche für Wünsche und Ängste. 

Man verzeiht den Schauspielern manch lustvoll bedientes Klischee (Thomas Meczeles »Afrika-Tante« oder Dieter Bachs öligen Showmoderator), weil das Ganze immer wieder irrwitzig komisch ist – und eben doch auch genau beobachtet. 

Allein wie Sebastian Klein und Anna-Maria Hirsch im Laufe des Stücks die gleiche Anmachszene zweimal aus zwei verschiedenen Perspektiven spielen, ist grandios. Und Meczeles Schlussmonolog, der den Kreis schließt und zugleich noch einmal einen ganz neuen Ton anschlägt, gehört zum Besten, was man in den letzten Jahren im tif gesehen hat. 

Langer Applaus für eine Inszenierung, der man wünscht, dass sie auch beim jungen Publikum einschlagen möge. Mit Wucht.