Heilbronner Stimme

Auf der Überholspur: Bestseller "Achtsam morden" von Karsten Dusse im Komödienhaus Heilbronn

Wenn der feine Anwalt zum skrupellosen Strippenzieher der Unterwelt wird: Die Premiere der rasanten Bühnenfassung von Karsten Dusses Bestseller "Achtsam morden" im Komödienhaus Heilbronn bietet feinsten Boulevard.

von Claudia Ihlefeld

Es ist ja bekanntlich immer das erste Mal, und meist bleibt es nicht dabei. Björn Diemel etwa hat erstmals mit 47 Jahren einen Menschen umgebracht, erzählt er. Und die Besucher im Komödienhaus Heilbronn ahnen bei dieser Beichte, die eine Rechtfertigung ist, dass dieser eine Mord nicht der einzige sein wird.

Diemel hat Blut geleckt, im Wortsinn. Eine Redewendung aus der Jägersprache, die sich wie ein roter Faden durch die schräge, anarchisch absurde Black Comedy "Achtsam morden" zieht, die am Samstag im Komödienhaus Heilbronn umjubelte Premiere feierte. Trash und Unterhaltung mit drei Erzkomödianten: Nils Brück, Arlen Konietz und Judith Lilly Raab spielen über 50 Rollen in knapp zweieinhalb Stunden mit Pause - eine vergnügliche Geisterfahrt.

Augenzwinkernd politisch unkorrekt

"Achtsam morden" in der zugespitzten Bühnenfassung von Bernd Schmidt nach dem zum Kult avancierten Roman von Karsten Dusse vereint aufs Feinste die Zutaten eines sarkastisch-komischen Stücks und platziert lustvoll robuste Klischees. Kurzum: augenzwinkernd politisch unkorrekt, wie man es eigentlich nur von angelsächsischen Well-made-Plays kennt.

Wer die Vorlage, sprich das Buch, nicht gelesen hat - kein Problem, vielleicht sogar besser. Denn so hauen die Volten richtig rein, die diese schwarze Komödie in der Regie von Gustav Rueb schlägt. Dabei erweist sich der eine oder andere Sinnspruch der Achtsamkeitsphilosophie als gar nicht so dumm.

Achtsamkeitstraining, um die Ehe zu retten

Wie alles begann? Björn Diemels Frau (Judith Lilly Raab) zwingt ihn (Nils Brück) zur Achtsamkeit, um die Ehe zu retten. Er ist Anwalt, Strafrecht, sein Hauptmandant Dragan ist einer der beiden Bosse, die sich als Konkurrenten die organisierte Kriminalität in der Stadt teilen. Rund um die Uhr setzt sein windiger Mandant Diemel unter Druck, damit allerdings verdient der das Geld für die sonst piekfeine Sozietät, für die er arbeitet. Die Kitaplatzsuche für Tochter Emily, vier Jahre alt, scheint aussichtslos. Und der Vater ist stets abwesend. Das muss sich ändern.

Tatsächlich übt Achtsamkeitscoach Joschka Breitner (Arlen Konietz) nach kurzer Zeit einen enormen Einfluss auf seinen Klienten aus. Ohne Breitners Ratgeber "Entschleunigt auf der Überholspur" könnte Diemel im Schlamassel, in den er sich katapultiert hat, nicht überleben. Aus dem Anwalt mit Hang zum Opportunisten wird ein skrupelloser Strippenzieher, der jedweden Kollateralschaden einkalkuliert.

Drei famose Schauspieler, die vor fast nichts zurückschrecken

So wie Dusses Vorlage vor Empfindlichkeiten nicht zurückschreckt, wenn er Dragan als Mafioso zeichnet mit osteuropäischem Migrationshintergrund im goldenen Jäckchen, der in Diemels Kofferraum bei 40 Grad krepiert, während sein Anwalt mit Tochter den Nachmittag am See genießt, so schrecken die drei famosen Akteure in ihrem Spiel vor fast nichts zurück. Und lassen sich mitunter in die Karten schauen. Das heißt, sie tun so als ob.

Da sind Boris, Dragans Gegenspieler, genüsslich chargiert Konietz den russischen Bösewicht im knappen Pelz. Oder Malte aus Chemnitz, Neffe und Auftragmörder von Toni, dem Officer für den Drogenhandel. So wie Konietz hintersinnig charmant und bei allem Tempo elegant von einer Rolle in die nächste switcht und zurück, ist Raab mal Diemels Frau, mal Tochter Emily, Hauptkommissarin, Tonis Stellvertreter Murat, Dragans Assistent Sascha oder die im Syndikat für Prostitution verantwortliche Carla.

"Ich muss nicht tun, was ich nicht will. Ich bin frei."

Allein Nils Brück bleibt bis auf einen Auftritt als Schmuggler der Anwalt, der aus Achtsamkeit unachtsame Kriminelle mordet. Brücks Diemel ist der irrwitzige Tausendsassa, der je nach Situation Teilidentitäten wachruft. "Ich muss nicht tun, was ich nicht will. Ich bin frei", definiert er Achtsamkeit in seinem Sinne. Dastehen, atmen, sich selbst liebevoll wahrnehmen war nur der Anfang.

Was ins Alberne kippen könnte, bleibt durchgängig intelligenter Boulevard, für den Ausstatter Florian Barth ein verspielt fantasiereiches und doch reduziertes Setting geschaffen hat sowie raffinierte Videoeinspieler. Ein großer Spaß für Schauspieler wie fürs Publikum.