Westfälische Nachrichten

„In Zeiten des abnehmenden Lichts“: Erfolgsroman in Osnabrück szenisch umgesetzt 

Treppen ins Nichts 

Abgestoßenes Holz, blätternde Farbe. Die Treppen verschlingen sich in einander – wie die Lebenswege der Familie Umnitzer: des SED-Kaders Wilhelm, seines Stiefsohnes und Gulag-Überlebenden Kurt, dessen russischer Frau Irina und deren Sohn Alexander. Nur: Die Treppen enden ohne Ziel. So sehr sich die Figuren beim Hinaufsteigen abmühen, sie stehen am Ende vor dem Nichts. Es sind Geschichten des Scheiterns, die „In Zeiten des abnehmenden Lichtes“ erzählt. Die Dramaturgin Marie Senf und Regisseur Gustav Rueb haben Eugen Ruges Erfolgsroman für die Bühne des Theaters Osnabrück bearbeitet. 

Von unserem Redaktionsmitglied Martin Ellerich 

Der Erzählstil, der im Roman fasziniert – auf die Dauer aber eben auch etwas ermüdet –, behält seine Wirkung auch auf der von Peter Lehmann stimmig gestalteten Bühne: Die immer gleichen familiären Ereignisse – Weihnachten, der 90. Geburtstag Wilhelms – werden aus der Sicht der verschiedenen Figuren geschildert. Und so enthüllt die immer gleiche Begebenheit immer neue Facetten und Abgründe – in der Geschichte der Familie und in der Geschichte der DDR. Video-Einspielungen, Jahreszahlen, Ortsangaben und nicht zuletzt die von Dorothee Joisten treffend gewählten Kostüme helfen auch jenen Zuschauern, die den Roman nicht gelesen haben, sich das Gewirr aus Zeitsprüngen und Perspektiven zu erschließen. 

Das Ganze ist durchaus stimmig. Doch der Wechsel der Blickwinkel, die dadurch bedingte Distanz zum Erzählten führt eben auch zu einer gewissen Kühle im Blick auf die Figuren – im Roman wie auf der Bühne. 

Dafür entschädigen grandiose Szenen: Etwa die Anfangsszene mit Thomas Kienast in der Rolle des Historikers Kurt, dem die Demenz die Sprache geraubt hat. Die Gegenstände seines Schaffens – die Arbeiterbewegung und die Geschichte der DDR – haben sich so sehr ins Nichts aufgelöst wie das Handwerkszeug des Historikers: Gedanke und Sprache. Alles, was Kurt im Leben „geschaffen“ hat, ist tot – oder sterbenskrank wie sein Sohn Alexander (Orlando Klaus). 

Beeindruckend auch, wie Franziska Arndt als Irina in dieser Familie voller Lebenslügen, Tabus und Kälte um ein wenig Anerkennung und Wärme kämpft. Entlarvend, wie sich – mit Orden, Arbeiterliedern und Mett-Igeln – beim 90. Geburtstag des SED-Kaders Wilhelm im Oktober 1989 ein Staat feiert, der längst zum Sterben verurteilt ist. „Kein Wort über Ungarn, kein Wort über die Botschaftsbesetzungen.“ Enkel Alexander ist da schon im Westen.