Osnabrücker Nachrichten

Ruge im Theater: Adaption als raffinierte Komposition 

Hut ab! So ein Koloss muss man erst mal auf die Bühne bringen, ohne das umfangreiche Buch auf tönernen Füssen bloss zu stellen. Friedliche Revolution und Mauerfall jähren sich zum 25. Mal, da passt die von Gustav Rueb inszenierte und einem tollen Ensemble getragene Adaption von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" nach dem autobiografisch geprägten Montage-Roman von Eugen Ruge perfekt in den Spielplan des Theaters Osnabrück. Eine der kommenden Aufführungen fällt sogar auf den Tag der Deutschen Einheit - kulturell ansprechender kann man so einen Abend kaum verleben. Okay - drei Stunden (Pause mitgerechnet) sind nicht ganz ohne, aber ein TV-Zweiteiler wie "Der Turm" (nach Uwe Tellkamp) fordert am Stück eine ähnliche Kondition. Die Bühne als Treppe der Geschichte, das verbindende Sounddesign, die Verdichtung nach der Pause, der tragende Humor, diese spotartige Collage nimmt Tempo auf und verdrängt anfängliche Fragezeichen. Zeit- und Ortssprünge, Perspektivwechsel und ein schwer greifbares Personenkarussell - die Antennen müssen schon ausgefahren sein. Der Wechsel zwischen Prosa und Drama funktioniert in dieser Bühneadaption glänzend. 2001: Der Theaterregisseur Alexander (beachtlich: Orlando Klaus) bestiehlt seinen demenzkranken Vater Kurt (Thomas Kienast), um in Mexiko sein Leben zu beschliessen - die Diagnose lautet Krebs, inoperabel. Doch diese Flucht ist zugleich eine Reise in die Anfänge seiner Familiengeschichte. 1952: Die überzeugten Kommunisten Charlotte (Stephanie Schadeweg) und Wilhelm (beeindruckend: Klaus Fischer), Alexanders Grosseltern, brechen aus dem mexikanischen Exil auf, um beim Aufbau der jungen DDR zu helfen. Und nun entfaltet sich ein lebenspralles Panorama aus Welt- und Familiengeschichte: Charlottes Sohn Kurt überlebt die Lagerhaft in Sibirien und macht in der DDR als systemkonformer Historiker Karriere, seine russische Frau Irina (Franziska Arndt) zieht mit ihrer Mutter Baba Nadja in die innerfamiliären Kämpfe mit den Schwiegereltern, während ihr Sohn Alexander vor allem flüchtet - vor dem Elternhaus, vor seinen wechselnden Frauen und seinem Sohn, vor dem politischen System. Der Zerfall von Staat und Familie, die Zeiten des abnehmenden Lichts, sie haben längst begonnen... 

Eugen Ruge, der bei der Premiere anwesend war, schreibt in einem Brief an das Osnabrücker Ensemble: "Schon mit einem Tag Abstand hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, dass ich eine sehr schöne Inszenierung gesehen habe. Die Regiefassung ist konsequent, wesentlich und pointiert. Das ganze Ensemble agiert wunderbar..."