Frankfurter Rundschau

„Ein Klotz am Bein“
Sandale? Skandal? Egal.
Gustav Rueb inszeniert fürs Staatstheater Darmstadt so umstandslos wie munter und herzhaft Georges Feydeaus „Ein Klotz am Bein“.
Von Sylvia Staude
16.10.2017
Frankfurter Rundschau


In einem seiner bekanntesten Lieder behauptet Paul Simon, es gebe 50 Möglichkeiten, die Geliebte/den Geliebten zu verlassen: „50 Ways to Leave Your Lover“. Fernand de Bois d’Enghien würde es genügen, wenn ihm ein einziger schlauer Weg einfiele.
Aber da er als Figur in einer Komödie Georges Feydeaus steckt, stolpert er von einer absurden Vertuschungsaktion in die nächste, versucht er das Lügengebäude auf der einen Seite verzweifelt wieder aufzubauen, während es auf der anderen gerade zusammenfällt. „Ich brauch einen Schrank!“, ruft er zwischendrin. Es ist offensichtlich, dass er nicht seine Kleidung aufräumen will.
Fürs Darmstädter Staatstheater hat Gustav Rueb „Ein Klotz am Bein“ (1894) von Feydeau jetzt sowohl frisch übersetzt, als auch im Kleinen Haus inszeniert. Und so wie er bei der Übersetzung nicht übereifrig neumodisch ist, so nehmen er und Dorothee Joisten, Kostüme, auch die zeitliche Festlegung locker, irgendwo zwischen vorletzter Jahrhundertwende und Turnschuh-Lässigkeit. Aber es gibt, um des Witzes willen, schon Tischstaubsauger.

Peter Lehmann, Bühne, sorgt, erster Akt, für zitronengelbe Fauteuils, in die sich diverse Figuren in diversen Erschöpfungszuständen fallen lassen können, und eine ausreichende Zahl an Türen, denn: „Lucette hat viel Verkehr“, sagt der des Deutschen nicht ganz mächtige Verehrer. Lehmann sorgt, zweiter Akt, unter anderem für einen Wandschrank bei Baronin Duverger. Und, dritter Akt, für ein Treppenhaus, in dem das Türenschlagen ergänzt wird durch ein Auf und Ab. Von Männern in Unterhosen, von der Polizei.
Das Ensemble darf es indessen so aussehen lassen, als legte es alle Blödsinnshemmungen ab. Denn die Dinge geraten doch hier durch die Ausgangslüge schnell und dann für immerhin (mit Pause) zweieinhalb Stunden gehörig aus den Fugen. Er ist wieder da, jubeln alle, weil Lucette ohne ihren Fernand doch so niedergeschlagen war.

Aber Fernand wollte doch nur Schluss machen, seine Hochzeit mit Viviane, Tochter der Baronin Duverger, ist bereits im „Figaro“ angezeigt. Und immer hat Fernand just ein Zeitungsexemplar beseitigt, da taucht ein weiteres auf (als Journalistin könnte man wehmütig werden). Aber da stolpert just der doofe kleine Chansontextschreiber herein, er ist bestimmt schrecklich in Lucette verliebt und könnte doch ... Aber da kommt der reiche, leidenschaftliche General, er ist definitiv furchtbar verliebt und könnte doch ... Umso besser, dass er, als radebrechender Ausländer, „Sandale“ nicht von „Skandal“ unterscheiden kann.
Karin Klein ist eine herrlich exaltierte, aber keineswegs weltfremde Lucette. Daniel Scholz der bald restlos ratlose Schwindler Fernand. Christoph Bornmüller gibt (mit Bartschatten) Lucettes Mauerblümchen-Schwester Marceline sowie (mit Schnauzbart) den Chasontextschreiber Bouzin, Jörg Zirnstein (mit Langhaarperücke) den schnell- und falschsprechenden General Irrigua, Mathias Znidarec (mit Vollbart) den reizenden, aber mit Mundgeruch geschlagenen Monsieur de Fontanet sowie die Englischlehrerin Miss Betting. Gabriele Drechsel darf als Baronin noch einigermaßen die Contenance bewahren; das muss sich auch angesichts eines Töchterchens, Katharina Hintzen, das einen Mann nur interessant findet, wenn sich seinetwegen möglichst viele Frauen erschossen haben.
Feydeau, so heißt es, habe nach einem ersten Theatermisserfolg das Komödienschreiben gründlich studiert. „Ein Klotz am Bein“ jedenfalls schnurrt in allen Verwicklungen, in jedem Dialog tadellos ab. Und Regisseur Rueb sorgt dafür, dass das auch in Darmstadt so ist.