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Michel Houellebecqs Roman auf der Theaterbühne - Gustav Rueb inszeniert Unterwerfung am Kasseler tif

Kassel. Gleich von vier Schauspielern wird Houellebecqs Romanheld Francois  in Kassel auf der Bühne dargestellt.

Landauf, landab kommt die Bühnenfassung von Michelle Houellebecqs Roman-Dystopie „Unterwerfung“ an die Theater. Nun ist sie (endlich) in Kassel zu sehen, und zwar in der bemerkenswerten Inszenierung von Gustav Rueb. Am Freitag feierte sie im Tif eine umjubelte Premiere.
Diese Zukunftsvision von der Islamisierung Frankreichs im Jahr 2022 ist vor allem eins: Eine so böse wie witzige Polit- und Gesellschaftssatire. Es geht um die Lenkbarkeit des Menschen im Allgemeinen und die Midlife-Crisis des Protagonisten und Ich-Erzählers François im Besonderen.
Dieser in den Vierzigern stehende Literaturwissenschaftler ist Fachmann für den französischen Fin-de-Siècle-Romancier Joris-Karl Huysmans (1848-1907), dessen bekanntester Roman „Gegen den Strich“ ist. François ist abgehalftert, Krankheiten plagen ihn, sein Sexleben hält kaum Sensationen bereit, und der Sinn des (weiteren) Lebens will sich ihm nicht recht erschließen. Die Suche nach dem christlichen Gott, die den Rebellen Huysmans zum Katholizismus übertreten ließ, wird für François zur herben Enttäuschung.

Da scheint die Islamisierung mit ihrer Vielweiberei eine durchaus akzeptable Alternative. Wie bei Huysmans scheint ein Zeitalter am eigenen Überdruss zu ersticken.
Anders als in Hamburg, wo Edgar Selge den Roman in einem dreistündigen Monolog zum Leben erweckte, hat Rueb „seinen“ François in vier Personen aufgespalten, ein dramaturgischer Trick, der sich zwar nicht zwingend aus dem Roman ableiten lässt, aber für Dynamik, Spannung, Abwechslung und witzige Momente sorgt: Hagen Bähr ist der „bei weiten jüngste“, Christian Ehrich der „mitteljunge“, Aljoscha Langel der „etwas jüngere“ und Stephan Schäfer schließlich der eigentliche François. Vier wunderliche Klone, denen mit ihren blonden Perücken etwas Künstliches und Universelles anhaftet.
Man betritt das Theater über den Hintereingang und wird von einem Horror-Clown in einer Jahrmarktsbude empfangen. Man wähnt sich in einem Raum, dessen Kulissen an Ridley Scotts Zukunftsthriller „Blade Runner“ erinnern. Susanne Priebs (Bühne und Kostüme) hat hier eine Mischung aus Boudoir, Sexshop, Einkaufszentrum, Kirche und Wahllokal gestaltet, quasi als signifikante Räumlichkeiten westlicher Kultur. Man schlendert hindurch, schaut sich um, wird dann als stummer Akteur unmittelbar einbezogen. Manche ergattern einen der raren Stühle, die meisten müssen stehen. Und zwar lange, über eine Stunde – da wird das unbequeme Stück wirklich unbequem.
Die Inszenierung von „Unterwerfung“ durch Rueb ist so sehenswert wie Houllebecqs Roman lesenswert ist. Der Text wird fortwährend von den vier François’, die sich ebenfalls durch den Raum bewegen, zerlegt, verdichtet und neu zusammengesetzt. Kreist der erste Teil um Sein und Sinnsuche, geht es im zweiten auf der anderen Seite der Kulisse mit der Islamisierung weiter.
Hier ist alles recht karg auf das Wesentliche konzentriert. Männer und Frauen sind sorgfältig voneinander getrennt. Beklemmung am Ende? Eher nicht. Es ist ein Sich-Fügen in das Unausweichliche. Ein Lebensabschnitt geht einfach in den nächsten über. Das böse Erwachen kommt später und damit zu spät. Langer Applaus.