WAZ

Untergangsdrama besticht mit Komik

Unterhaltsam, gegenwartsnah und mit großartigen Schauspielern bringt Gustav Rueb Becketts altes, längst verlorenes „Endspiel“ in der Casa auf die Bühne

Von Dagmar Schwalm

„Endspiel“ ist ein bitterböses Drama von großer Tiefsinnigkeit. „Endspiel“ ist zeitlos. „Endspiel“ regt zum Entschlüsseln an. Jeweils zu seiner 􏰀eit. Jetzt ganz besonders im Nachgang der großen Demonstration der Klima-Bewegung. „Früchte des 􏰀Zorns“ folgend kommt in Essen erneut ein Stück auf die Bühne, bei dem sich eine politische Deutung aufdrängt. Bietet es doch zahlreiche Anspielungen, die auch auf eine Klimakrise hinweisen könnten. Gustav Rueb hat in seiner Inszenierung bei aller Ernsthaftigkeit des 1956 entstandenen Stücks auch die Komik unterstrichen. Die Premiere begeisterte.

Vier Überlebende gehen gegen die Hoffnungslosigkeit an
Sie verbindet ein Band der Abhängigkeit: Hamm kann nicht sehen und nicht stehen, Clov kann nicht sitzen. Hamm und Clov sind Herr und Diener, vielleicht Vater und Sohn. Sie leben auf einer dem Untergang geweihten Erde. Ebenso wie Nagg und Nell, Hamms Eltern. Auch sie können nicht fort. Gemeinsam spielen die Überlebenden ein „Endspiel“ gegen die Hoffnungslosigkeit. Mit schönen Erinnerungen, den immer gleichen Fragen und Antworten und gewohnten Ritualen. Und wie sie spielen. Thomas Büchel gelingt von Anfang an ein schlauer, sehr komischer Clov, der hinter seiner Schwerfälligkeit Wut und Resignation entwickeln kann. Jens Wintersteins Hamm ist ein nervöser, tablettenabhängiger Tyrann und im Schlagabtausch grandios. Jan Pröhl und Monika Bujinski machen ihren kurzen Auftritt als Alte gemäß ihrer Überzeugung „Nichts ist komischer als das Unglück“ zu einem Erlebnis.

Es ist ein präzise konstruiertes Theaterstück, das sie da spielen. Der irische Nobelpreisträger Beckett brachte es Mitte der 1950er Jahre mit genauen Regie- und Ausstattungsanweisungen heraus. Jede Veränderung zieht wiederum eine Veränderung nach sich. Das beginnt mit der Ausstattung. Sie hat keinen Beckett-Look. Sie ist schlicht, aber nicht karg und grau. Den ausgestellten Raum mit Vorhang von Peter Lehmann dominieren ein weißes Ehebett, ein grüner Bürostuhl mit Rollen und ein hell gemusterter Boden. Hinzu kommen zeitgemäße Kostüme. Schon ist die Stimmung nicht mehr bedrückend, jedoch gespannt.

Der Abend hat einen Retro-Charme mit modernen Details wie ein Flachbildschirm, der mal die greisen Eltern, mal einen intakten Wald als Erinnerung zeigt. Man bekommt das „Endspiel“ weitgehend so, wie es seit 65 Jahren in der Übersetzung von Elmar Tophoven angedacht ist. Aber eben nicht in der haargenauen Texttreue und mit einer zeitgemäßen Deutung. Regisseur Gustav Rueb hat bereits eingegriffen, als er Nagg und Nell nicht in Mülltonnen steckte.

Inszenierung kann mit hintersinnigem Wort- und Spielwitz bestechen
Also musste er auch in den Text eingreifen. Dem starken Stoff kann das nichts anhaben. Da kann die Insze- nierung mit hintersinnigem Wort- und Spielwitz, ihrem Tanz um die Welt und ihren Assoziationsmög- lichkeiten bestechen. Am Ende hat der Bestimmer seine Bestimmung verloren und gibt sich geschlagen. Wo nach der Natur der Mensch langsam stirbt, ist der Sinn des Lebens dahin. Die Chance, etwas zu ändern, haben die Spieler verpasst. Da erscheinen im Nachklapp die Werbung für Beruhigungspillen und Bilder einer Flutkatastrophe zu Bachs „Goldberg-Variationen“ überflüssig. Die Botschaft ist längst gesendet. Sie muss nur ankommen.