Frankfurter neue Presse

Je höher der Aufstieg, desto schmerzhafter der Fall

Karin Klein als Königin Lear in Darmstadt

Von Stefan Michalzik

Das Überschreiben von Dramen aus dem klassischen Repertoire hat der flämische Dramatiker Tom Lanoye zum Zentrum seines Schreibens für die Bühne gemacht. Sein Stück "Königin Lear", das Gustav Rueb für die Kammerspiele des Darmstädter Staatstheaters inszeniert hat, ist unter dem Eindruck der Finanzkrise von 2008 entstanden.

Cinemascope-breit ist der Raum von Florian Barth, wuchtige Säulen teilen ihn zu einem Triptychon auf. Links ist ein Schlafzimmer aufgebaut; sitzt man an einer ungünstigen Stelle, hält sich der Blick überwiegend an die Großbildprojektion. Steinern hart wirken die Züge der Schauspielerin Karin Klein beim Blick in den Frisierspiegel, sie ist Elisabeth Lear. Angelehnt an Shakespeare will sie aus Altersgründen ihr weltumspannendes Firmenkonglomerat unter ihren Söhnen aufteilen. In einem Sitzungssaal verlangt sie ihnen einen Liebesbeweis ab; zweifelhaft fallen die Bemühungen der beiden älteren Söhne aus, latent-aggressiv bei Gregory (Thorsten Loeb als schwerfälliger Kahlschädel), salbadernd-schleimig und matt im Falle von Hendrik (Béla Milan Uhrlau als wohlhabender Sohn wie aus dem Bilderbuch). Wahrhaftig bleibt allein Cornald, jüngster Sohn und Elisabeths Liebling. Überzeugend in der "Hosenrolle" mit tiefergelegter Stimme: Marielle Layher. Er will nicht mittun bei diesem Wettbewerb der zweifelhaften Gefühlsäusserungen, worauf die Mutter ihn schroff verstößt und enterbt. Das ist ein großer Abend für Karin Klein. Dieses Stück beschäftigt sich nicht zuletzt auch mit der Rolle sich emanzipierender Frauen in Top-Positionen, die nicht automatisch glücklichere sind, sofern sie sich in die von Männern geprägte Welt einpassen und deren Werte und gebaren internalisieren. Karin Klein trägt eine streng konservative Hochsteckfrisur, gefrorenes Bild einer Bessergestellten. Elisabeth, flankiert von der ständig gebärdendolmetschenden Pflegerin Olga (Mona Kloos) ist der Demenz anheimgefallen. Karin Klein spielt das Wechselbad aus tiefem Fall und Besinnung auf die einstige Macht als Tragödie ernst und komödiantisch zugleich. Ein Ereignis, unbedingt sehenswert.

Mit Blick auf die Verwerfungen in der Finanzwelt bleibt das Stück, das der Vorlage ziemlich genau folgt, an der Oberfläche. Gustav Rueb konzentriert sich auf das Spannungsfeld von Macht und Psyche. Die Figuren neben Elisabeth spielen mit Ausnahme des Strippenziehers und heimlichen Cornald-Zeugers Kent (Hubert Schlemmer als Anzugträger in Old-Economy-Fasson) eine eher randständige Rolle. Auf knallige Lacher zielt die Inszenierung nicht, ihre Pointen sind von einer anderen Art.

Nach der Pause schickt die Regie Elisabeth mit Olga bei geöffnetem Tor in der Hinterwand auf den Innenhof und in einen Theaterregen und reizt so das neckische Spiel von Live-Film und fragmentiertem Blick auf das "Studio" aus.

Eindrückliche Bilder einer triftig eingesetzten Lust am Theater: Das gilt genauso für die Begegnung mit dem obdachlosen Banker (Hans-Christian Hegewald als verstörter Zausel, der in einer Limousine haust), in und um die herum sich eine Art Katz- und Mausspiel zwischen Elisabeth und ihm entspinnt.