Darmstädter Echo

Kapitalistin fordert Liebesrendite

"Königin Lear" von Tom Lanoye in den Darmstädter Kammerspielen: Diva der Globalisierung zwischen Pleite und Wahnsinn

Von Stefan Benz

Schon bei Shakespeare ist diese Geschichte ja dazu angetan, den Glauben an die Mächtigen zu verlieren: Da will ein alter Patriarch das Reich an seine drei Töchter aufteilen, und nach fünf Akten sind er, die Kinder und noch ein paar andere tot - und das Reich ist verloren. so geht "König Lear". In Darmstadt spielen sie nun "Königin Lear" und beerdigen nach drei Theaterstunden die Hoffnung, dass sich an den Machtmechanismen etwas ändert, wenn eine Frau die Hauptrolle übernimmt.

Karin Klein ist als Elisabeth Lear eine Konzernchefin, die ihr globales Unternehmen an ihre Söhne überschreiben will. Der Flame Tom Lanoye hat seine moderne Fassung 2015 entworfen, wobei allerdings nur die Hälfte des eigentlichen Doppeldramas drankommt. Zwar fehlt die Parallelhandlung, doch die Unternehmensberatung Shakespeare & Partner sorgt auch hier zuverlässig dafür, dass die Pleite menschlich und wirtschaftlich total ausfällt.

Es ist dies in Darmstadt nach der "Hamlet"-Paraphrase "Prince of Denmark" bereits die zweite überzeugende Shakespeare-Überschreibung in den Kammerspielen als neuer Hauptbühne des Schauspiels während der Sanierung des Kleinen Hauses. Und erneut zeigt sich, dass sich das Theater auf dieser enorm breiten Bühne, auf der zwei Säulen die Sicht behindern, formal stark strecken muss.

Regisseur Gustav Rueb probiert verschiedenste Mittel aus, um die Geschichte multimedial so rüberzubringen, dass alle im Publikum noch genug mitkriegen - zumeist mit Erfolg. Links ist das Schlafgemnach der Königin, in dem Wirtschaftsfernsehen läuft. In der Mitte tagt die Konzernleitung. Rechts geht es raus zur Parkhaus-Einfahrt, wo die Wahnsinnsszene auf der Heide, die man aus "König Lear" kennt, ihren Anfang nimmt.

Ohne Kopfmikrofone und forcierten Einsatz von Live-Videos geht es hier nicht. Damit kommt man auch rechts außen auf der Tribüne der Chefin sehr nah, wenn Lady Lear gerade ganz links an der Wand ihren verbliebenen Verstand zusammenkramt. In einem Trenchcoat mit Schärpe beginnt Karin Klein als blonde Diva der Globalisierung. Doch kaum hat sie ihren Lieblingssohn Cornald (Marielle Layher) enterbt, bröckelt ihr Verstand.

Mit wirrem Haar und verschmiertem Kajal steigert sich Klein in die Umnachtung ihrer Figur hinein, singt "As Tears go by" von den "Stones" so leise und brüchig, als wäre es ein Lied von Nico.Und wenn die Königin im zerbeulten Wrack eines Chryslers Cruiser mit einem verfilzten Banker-Junkie (Hans-Christian Hegewald) um die Wette halluziniert, ist das im wahrsten Sinne wahnsinnig gut.

Die Demenz der Chefin ist hier ja eine fast schon gnädige Entschuldigung dafür, dass die Königin des Kapitalismus statt unbezahlbarer Liebe von ihren Kindern zu erhoffen, lebenslange Gefühlsrendite von ihnen einfordert. Ihr bockiger Junior Cornald geht daraufhin nach Südostasien, will Mikrokredite vergeben, meldet sich via Video aus einer Kakteen-Ecke und muss einräumen, dass er bloß Schmiergeld verpulvert hat. Gregory (Thorsten Loeb), der Älteste, hat vom Business keinen Plan, doch er hat mit seiner blondierten, aber gar nicht blöden Frau Connie (Edda Wiersch) Enkelchen zu bieten, die Oma Lear jedoch nie zu sehen kriegt. Sohn Hendrik (Béla Milan Uhrlau) könnte den Laden vielleicht schmeißen, aber nicht in dieser schrecklichen Familie, vor der sich seine Frau Alma (Anabel Möbius) zunehmend ekelt. Lears Berater Kent (Hubert Schlemmer), der die Dynastie mit Diplomatie retten will, erscheint hier als Einziger mit Durchblick, weshalb er auch geblendet werden muss.

Die Wahrheit liegt in der Gebärdensprache

Da ist also jede Menge Drama drin, das noch durch den Einsatz eines Schlagzeugers betont wird. Unter den vielen audio-visuellen Schichten dieser Inszenierung ist das die entbehrlichste. Den klügsten Kunstgriff wiederum markieren die Auftritte von Lears Pflegerin Olga, die auch Gebärdendolmetscherin für die Firmenkonferenzen ist. Schauspielerin Mona Kloos hat sich für diese Aufführung eine staunenswert flinke Gebärdensprache angeeignet, mit der sie das Geschehen immer wieder kommentiert und ironisiert. Als Narrenfigur, die sich vor allem mit Mimik und Gestik artikuliert, entlarvt sie hohle Worte und leere Versprechungen.

Mit dieser Idee gewinnt Gustav Ruebs Inszenierung eine neue Ausdrucksform. Eine solche Vielfalt der Mittel braucht es auch, denn in den Darmstädter Kammerspielen ist gerade die räumliche Konzentration, die Kammerspielszenen erfordern, baulich nicht zu haben. Diese Bühne provoziert das Theater zu besonderen ästhetischen Kraftanstrengungen. Sowas kann auch im Kunstkrampf enden. Hier aber wird die Herausforderung geschickt gemeistert.