Gustav Rueb inszeniert „Ajax“ am Deutschen Theater in Göttingen
Von: Ute Lawrenz
In Thomas Freyers „Ajax“ treffen Figuren aus der Antike auf die Gegenwart. Unter Regie von Gustav Rueb feierte das Schauspiel am Deutschen Theater in Göttingen eine Premiere.
Göttingen – Auf den ersten Blick eine befremdliche Idee, Antike und Gegenwart zu verschmelzen– in Thomas Freyers „Ajax“ begegnen sich Figuren, die in der Wirklichkeit Jahrtausende trennen. Mit dem auch in Kassel nicht unbekannten Regisseur Gustav Rueb hat das Schauspiel im Deutschen Theater in Göttingen gelungene Premiere gefeiert.
Auf der hölzernen Wand im Bühnenportal zeigt sich die Skizze eines griechischen Kämpfers, aus den Logen beginnt ein Wechselgesang mit Sätzen wie aus einer heutigen Familie und Phrasen, die an die Antike erinnern. Immer wieder wird der Chor das Geschehen kommentieren, den Gesang mit ungewöhnlichen Instrumenten atmosphärisch unterstützen. (Chorkompositionen und -Einstudierung:Matthias Flake) auf der Bühne warnt eine Frau (hausfraulich: Judith Strössenreuter) ihren Mann, die Selbstständigkeit zu wagen. In unsicheren Zeiten investierten Menschen zögerlich.
Für Mann Michael (Bastian Dulisch) ist Photovoltaik die Zukunft, so schlägt er Christianes Bedenken in den Wind und scheitert. Dann beginnt er, Vorräte für einen drohenden Krieg in Europa zu sammeln. Sohn Jonathan (maulig, stark: Paul Trempnau) ist Leidtragender der Kämpfe seiner Eltern. Er entzieht sich, flieht die Wirklichkeit, mit Drogen. Erst vorsichtig, dann immer dominanter mischt sich der trojanische Krieg ins Geschehen. Anfangs ist es nur ein Feuerschein auf dem Feld, den Christiane sieht, nicht einordnen kann, dann sind es Meldungen aus der Zeitung, die immer schrecklicher werden.
In silbern- und goldglänzenden Rüstungen drängen Figuren der Antike auf die Bühne, Ajax (Bastian Dulisch, hervorragend in der Doppelbesetzung), die Sklavin Tekmessa (intensiv: Marina Lara Poltmann) und Mutter von Ajax‘ Sohn Eurysakes (quirlig kindlich: Lou von Gündell) zeigen ihre Geschichte erst parallel zum Familiendrama in türkisblauen Trainingsanzügen (Kostüme: Nina Kroschinske, Juliane Molitor), dann vermischen sich die Handlungsstränge, verschmelzen.
Auch Ajax, der Feldherr im Kriegsgeschehen, entfernt sich immer weiter von Frau und Kind. Wie Jonathan entfernt sich auch Ajax‘ Sohn vom Vater. Während Jonathan sich und den Weltbezug verliert, will Eurysakes mit Hilfe von Onkel Teukros (herrlich nüchtern: Gerd Zinck) den Vater übertrumpfen. Alles spielt in einem Bühnenbild (Bühne: Daniel Roskamp), in dem sich die zwei Wirklichkeiten überblenden. Was sich zunächst in Projektionen zeigt – das heutige Haus im Wechsel mit Bildern für die Antike – wird am Beispiel des Bunkers, den Michael baut, nach ein paar Handgriffen Realität auf der Bühne.
Erschreckend einfach die Übersetzung für Blut: Michael-Ajax verstrickt sich in roter Wolle. Immer wenn die hölzerne Wand sich hebt, dringt mehr antikes Kriegsgeschehen auf die Bühne. Unvermeidbar sind die Assoziationen, die direkt zur bösen Wirklichkeit mit dem Krieg gegen die Ukraine leiten. In Spiegeln erscheint wie mahnend Ajax‘ Geist (schlicht: Charlotte Wollrad) in den Rängen des Theaters. Doch so düster sich das Geschehen auch darstellt, in der Göttinger Inszenierung bleibt Raum für Schmunzeln.
Mit den Frauenfiguren Tekmessa und Christiane, die beharrlich weitermachen, bleibt den gut 250 Menschen im vollen Theater – nach fast zwei Stunden ohne Pause – Hoffnung. Besonnener Applaus mit Bravos. UTE LAWRENZ Antike überblendet Gegenwart Gustav Rueb inszeniert „Ajax“ am Deutschen Theater in Göttingen
Wer Theater sehen will, wo alles stimmt, tolles Spiel, stimmiges Regiekonzept, mit aussagestarkem Bühnenbild und sprechenden Kostümen - der sollte „Ajax“ nicht verpassen.