Neubürger Rundschau

INGOLSTADT

Nibelungen-Clan entgleitet im Stadttheater Ingolstadt ins Abgründige

Das Stadttheater Ingolstadt zeigt eine düster-ironische Neuinterpretation der Nibelungensage. Die Premiere entführt in eine abgründige Dynastie der 1920er-Jahre.

Von Michael Heberling | 12.10.25

Am Anfang wirkt alles noch so, wie eine etwas durchgeknallte Boulevardkomödie: eine schräge Familie, in ihrem geschmacklosen Domizil, eingeschlossen, wie in einen mahagonibraunen, mit rotem Samt ausgeschlagenen Edelholzsarg, gefangen in sinnfreien Ritualen und ziellosen Grübeleien. Ein Biotop ganz nach dem Geschmack des Filmemacher-Pärchens Viktor und Sabrina, die hier die ideale Dynastie gefunden zu haben glauben, um ein beispielhaftes Epochen-Porträt ihrer Gegenwart – die 1920er-Jahre - zeichnen zu können. Das ist die Grundkonstellation der Auftragsarbeit „Die Nibelungen – Rang und Drang“, die jetzt im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt uraufgeführt wurde. Man möchte dem Autorenduo Marcel Luxinger und Ivana Sokolla gerne die Zeit geben, die es braucht, einen aus so vielen Quellen sich nährenden und in so vielen Um- und Überformungen existierenden Stoff zu entfalten. Die aber tun, kaum, dass das Publikum die Protagonisten der literarischen Vorlage zu erkennen glaubt, mit Fleiß etwas ganz anderes. Der Nibelungen-Clan ist hier ein Haufen degenerierter Alt-Reicher, der von einem der wohl brutalsten Siegfriede der Motivgeschichte gnadenlos zugrunde manipuliert wird. Die Gebeutelten können den Despoten zwar töten, doch nichts mehr wird - schon gar nicht, wie es einmal war. Die besondere Liebe des Regisseurs Gustav Rueb gilt offenbar dem schrecklichen Emporkömmling Viktor Xandt, den Matthias Gärtner mit eiskaltem Timing gibt. Bis zu dessen Bühnentod liefert das Ensemble trotz komplexer Monologe bei hohem Tempo, konzentriert und routiniert ab, dann zerfranst die Saga sagenhaft. Beim sehr allgemein-ironisch angelegten Schlussteil schließlich wiegen die dreieinhalb Stunden, die es bis zu diesem Punkt dauerte, schon schwer. Zu schwer, als dass man den ambitionierten Abend mit einer dahin gewitzelten Moral von der Geschicht‘ beschließen sollte. Wir verstehen so viel, dass Kampfesmut und unbedingter Machtwille keine Männerdomäne sind und Rang und Drang eine ebenso große Versuchung für Frauen, die zumindest diesen Abend für sich entscheiden.

Zum Glück gabs für alle Romantiker und Werktreuen vor Beginn des Dramas ein „Upwarming“ im Foyer, wo die Kinder des Nibelungsenspielclubs in standesgemäßen Ritter- und Drachenkostümen einen lauten Crashkurs in Sachen Sage gaben, inklusive Schatzgeschachere und Blutbad. Prima Gelegenheit, sich locker zu machen