Rhein-Neckar-Zeitung

Weltuntergang bei schwebenden Hühnern

Am Theater Heilbronn hat das Stück „Romulus der Große“ von Dürrenmatt im Großen Haus Premiere – Kann Moral die Welt retten?

Von Brigitte Fritz-Kador

Als Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) im Jahr 1969 mit dem Berner Literaturpreis ausgezeichnet wurde, übergab er das Preisgeld von 15 000 Franken – zur Über- raschung aller Anwesenden – an drei Schweizer Persönlichkeiten, die für De- mokratie, Pressefreiheit und Nonkonfor- mismus standen. Es war kein Jahr wie je- des andere und Dürrenmatt war eben ein Moralist. Diese Personen aber hatten und haben es nicht leicht, wohl auch ein Grund dafür, dass man manche Stücke Dür- renmatts sehr viel weniger spielt als andere. „Romulus der Große“ als Komödie gehört dazu. Gustav Rueb hat es jetzt für das Theater Heilbronn inszeniert.

Der Großkritiker Marcel Reich-Ranicki erinnerte in einem Text zu Dürrenmatt daran, dass er selbst eine seiner Figuren, den Autor in der Komödie „Der Meteor“ als „Moralisten wider Willen“ und „aus dem Nihilismus heraus“ bezeichnet hatte. Dürrenmatt könne „nur insofern als Moralist gelten, als er, die Existenz der Moral in unserer heutigen Welt leugnend, schon durch die Entschiedenheit und Hartnäckigkeit dieser Verneinung zu erkennen gibt, dass er sich mit der Abwesenheit der Moral nun doch nicht abfinden kann“. So manchem Besucher ist es nach der Romulus-Premiere wohl ziemlich ähnlich ergangen – auch ein Verdienst von Oliver Firits stringenter Romulus-Rollenauffassung.

Moralisten zu ertragen im Lande der Pragmatiker und Populisten fällt immer schwerer, Pressefreiheit ist auch in Deutschland in Gefahr, und Nonkonformisten müssen sich wegducken vor der Macht von TikTok und Facebook. Romulus ist in jedem Fall ein Nonkonformist, er duckt sich nicht weg vor der Geschichte als Machtverweigerer. Ob er auch ein Moralist ist, muss also jeder für sich entscheiden – und zuvor der Regisseur. Es ist immer schwach, wenn dieser glaubt, seine Inszenierung vorher erklären zu müssen, statt seine Arbeit unmittelbar dem Publikum anzubieten. Diese war gut, das Publikum angeregt und beileibe nicht überfordert, auch wenn sich Dürrenmatt/Romulus in seinen Zeitbezügen so beliebig bei den Denkmälern der Antike bedient, dass er damit beim historischen Fakten-Check glatt durchfallen wurde. Für alle, die den Vorzug einer humanistischen Bildung genossen, ist es ein „Bonus-Vergnügen“, für die Leidtragenden heutiger Schulsysteme bleibt dennoch genug. Dürrenmatt schöpft zu gerne aus dem Arsenal historischer Persönlichkeiten, übrigens auch in seinem letzten Stück „Achterloo“, das in Anwesenheit des schon sehr gebrechlichen Autors 1983 seine deutsche Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen hatte.

Bei „Romulus“ ist das Personentableau aus historischen Figuren, Archetypen von Machtspielern und vor allem Machtspielerinnen, Bürokraten, Angepassten und Geduckten das bekannte, formt sich dann auch zu einer Ensem- bleleistung. Und das vor ein Kulisse aus herrschaftlichem Plunder, bei dessen Räumaktion auch Porträts heutiger „Helden“ dabei sind, und dem Tiefenblick auf die Schönheit von Kampanien (Bühnenbild Florian Barth).

Prozente, Prozente, Prozente, Absahnen, die eigene Haut retten, Romulus ist das alles wurscht. Er züchtet Hühner, be- nennt sie nach seinen Vorgängern, Freunden und Feinden, liebt sie zu Tode vom Ei bis zum Abendmahl. Die Hand- lung des Stückes ist die Erwartung des Untergangs des Römischen Reiches, die Teutonen stehen ante portas. Das ent- larvt die Familie und die Hofschranzen, sie dürfen beim gemeinsamen „Rette sich, wer kann“ untergehen.

Das wünschte man sich gegenwärtig auch mit Blick auf Moskau, Washington oder sonst wo. Romulus lebt und insze- niert seinen Untergang gelassen, klug und auch seiner selbst überdrüssig. Garniert mit klugen Sprüchen oder Plattitüden – wie man es sehen will, kann man sich aussuchen. Ein bisschen viel Geschrei ist dabei, das ist schade, weil es den Feingehalt des Stückes minimiert. Auch die Bühne ist gelegentlich zu überladen. Und auf die Nebelschwaden hätte man ebenfalls verzichten können. Aber es gibt da auch die so schönen Details, wie die schwebenden Hühner und Effekte, die nicht dem Dichter, sondern dem Maler und Zeichner Dürrenmatt sicher gefallen hätten.

Der Twist am Ende, wenn die Teutonen tatsächlich gekommen sind, jedoch genauso überdrüssig des Krieges sind, und wenn am Ende die überleben, die ihn nicht mehr erleben wollten, dann hat man sie am Schopf, die „Moral von der Geschichte“. Damit muss das beifallsfreudige Publikum nach Hause gehen, darunter auch Zuschauer, deren Pfeifkonzert die Grenze zur Körperverletzung überschritten hat.