Egotrip

Das Ensemble leistet in dieser dreistündigen Inszenierung Besonderes. Man merkt, dass alle voll hinter dieser Tell-Version stehen und die Aussage möglichst eindringlich und überzeugend ans Publikum bringen wollen.

Milan Béla Uhrlau ist ein wahrhaft vierschrötiger und in seiner Unsicherheit bewusst „männlich“ agierender Tell, Daniel Scholz spielt einen in seiner Nonchalance der Macht nicht nur skeptischen, sondern fast schon kontraproduktiven Vertreter eben dieser Macht. Karin Klein spiegelt all die Nöte einer Ehefrau und Mutter in einer macht- und kampfbesessenen Welt wider, und Edda Wiersch verleiht auf ihre unnachahmliche Art der Berta von Bruneck politischen Weitblick, Unabhängigkeit und ein intuitives Machtbewusstsein. Ali Berber spielt den Melchtal als heutigen Hooligan mit viel Testosteron und überschaubarer Intellektualität. Torsten Loeb gibt einen politische wendigen Stauffacher, Florian Donath einen den Winkelzügen der Bruneck nicht gewachsenen Nachwuchspolitiker und Sebastian Schulze einen idealistischen Sohn mit Vaterkomplex. Hubert Schlemmer muss sich dagegen leider mit der Rolle des schlichten Walter Fürst begnügen. Das Premierenpublikum honorierte diese „Tell“-Version mit kräftigem, anhaltendem Beifall.

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FAZ

Natürlich ist in dieser knapp dreistündigen Anti-Tell-Wundertüte viel zu viel drin. Die Schlagworte purzeln im Minutentakt über die Bühne: Es geht um Identitätspolitik und Geschlechtergerechtigkeit, um Autonomiebehörde und Teilhabe, um homo versus hetero, um Kultur gegen Barbarei, kurz, um alles, was gegenwärtig die Gemüter in Wallung bringt. Dass dies trotz des Overkills durchweg Spaß macht, liegt vor allem an der immer kurz vor der Grenze zum reinen Klamauk innehaltenden Regie Gustav Ruebs, die selbst platte Gags mit witzigen Regieeinfällen veredelt und immer wieder kabarettreife Szenen kreiert, aber den Jux mit soviel intelligenter Bosheit paart, dass man die Widerhaken nicht übersehen kann.

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Nachtkritik

Bunt-schräger Ideenreichtum

Gustav Rueb setzt auf ziemlich viel Spaß im politischen Scharmützel; sowohl bei den grenzdebilen Mannsbildern der Provinz-Eliten wie auch beim "Essenz"-Kerl Tell und im Umfeld von Frau Berta, Herrn Gessler und dem jungen Rudenz. Der darf sogar mal "mit der Tür ins Haus fallen" – indem er wirklich hinter einer Tür steht und "ins Haus" fällt. Daniel Roskamp hat ein feines Wohnzimmer auf der Seitenbühne platziert, inklusive Video-Kamera, während die ganze Breite der Kammerspiel-Bühne einigen Berg-Panoramen vom Vierwaldstätter See gehört. Gelegentlich wird die Wald-Idylle (in der das Ensemble zu Beginn auch Bäume jodeln lässt zum Alphorn-Klang) von einem Fahrstuhl gestört, der heraufzukommen scheint wie in die Waldidyll- und Wellness-Oase eines Luxus-Hotels. Nina Kroschinske verpasst den hinterwälderischen Pseudo-Revoluzzern Western-Kostüme – auch das ist ein ulkiger Einfall.

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